Tunnelbohrmaschine Flavia nimmt wieder Fahrt auf: Im Interview berichtet Geologe Stefan Skuk über die geologischen Herausforderungen im Baulos „H61 Mauls“

Nachdem die TBM Flavia in der westlichen Haupttunnelröhre in einer Störzone festgefahren war, glückte nun ein Versuch sie wieder freizufahren. Flavia hat die Störzone jedoch noch nicht vollständig durchfahren. Um die geologischen Besonderheiten dieses Bauloses besser zu verstehen, sprachen wir mit Stefan Skuk, Geologe bei der BBT SE.

 

Stefan, wann hat die Reise der TBM Flavia begonnen und wie viele Tunnelkilometer hat sie bisher zurückgelegt?
Die Reise der TBM Flavia begann im April 2019 im Baulos Mauls. Es handelt sich um eine 200 Meter lange und 2.750 Tonnen schwere Tunnelbohrmaschine, die sich mit einer Vortriebsleistung von 4.200 kW durch den Berg gräbt. Bisher hat die Tunnelbohrmaschine rund 10,8 km der von ihr insgesamt zu bewältigenden 14,3 km der westlichen Haupttunnelröhre fertiggestellt. Im April kam Flavia rund 3,5 km vor der Staatsgrenze am Brenner zum Stillstand.

Warum steckte Flavia fest?
Aufgrund der hohen Überlagerung von über 1.200 Metern und der geringen Festigkeit des zerbrochenen Gesteins drückte das Gebirge gegen die TBM Flavia, sodass ein massiver Gebirgsdruck auf der Maschine lastete, der die TBM einklemmte. Nach mehreren Versuchen konnte die TBM nun freigefahren werden.

Das heißt, Flavia fährt jetzt wieder Richtung Brenner?
Ja, der Versuch die TBM Flavia wieder freizufahren war erfolgreich. Am Freitag, dem 24. November, ist die Maschine wieder angelaufen. Das bedeutet aber nicht, dass Flavia die Störzone bereits hinter sich gelassen hat: Im Moment befindet sich Flavia noch mitten in dieser Störzone, weshalb auch ihre Vortriebsleistungen unterdurchschnittlich sind.

 

Wir sind aber zuversichtlich, dass die Tunnelbohrmaschine, sobald sie die Störzone durchörtert hat, wieder in den Regelbetrieb übergehen kann.

Was ist eigentlich eine geologische Störzone und welche Besonderheiten weist die Geologie im Baulos "H61 Mauls" auf?
Bei einer Störzone handelt es sich um Bruchstellen im Gebirge, die häufig durch die Bewegung der tektonischen Platten entstehen.

Wie bereits zu Beginn des Projektes abzusehen war, ist die Geologie im Baustellenbereich Mauls südlich des Zentralgneises sehr komplex. Die Tunnelbohrmaschine durchquert in sehr kurzen Abständen sehr unterschiedliche Gesteinsarten: Schiefer, Phyllite, Quarzite, Marmore und Carniolen, um nur einige davon zu nennen. 
Und nicht nur das. Diese Gesteinsabfolgen sind von solchen Störzonen durchsetzt, in denen das Gestein im Laufe der Zeit durch die tektonischen Bewegungen der Kontinentalplatten zerrieben wurde.

Was bedeutet diese Herausforderung und generell die Arbeit an einem so wichtigen Projekt wie dem Brenner Basistunnel für dich?
Einerseits ist das Projekt aus geologischer Sicht extrem interessant, da es sich um einen 55 km langen geologischen Schnitt durch die Alpen handelt. Andererseits ist der Vortrieb eines Tunnels auch aus bautechnischer Sicht sehr interessant. Der maschinelle Vortrieb mit der TBM Flavia ist dafür das beste Beispiel.

Die Bauarbeiten von der Erkundungsphase an, über die Planung bis hin zur eigentlichen Vortriebsphase zu begleiten, ist unglaublich spannend, da man live miterleben und überprüfen kann, wie genau die eigenen Prognosen waren. Nachdem die beiden Tunnelvortriebsmaschinen Serena und Virginia den Brenner bereits erreicht haben, fehlen nur noch etwas mehr als 3,5 Kilometer bis auch Flavia in der Weströhre dort ankommt.