Jahrhundertbauwerk verbindet Europa
Der Brenner Basistunnel – innovative Lösungen im Tunnelbau 74 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 163. Jg., Heft 1–12/2018 2 . 4 . E r kundungss t o l l en süd l i ch des Brenne r s Der 10,5 km lange Erkundungsstollenabschnitt von Aicha nach Mauls (Baulos Aicha-Mauls) wurde mit einer Doppelschild maschine beginnend am 30. August 2008 bis Frühjahr 2010 aufgefahren [Qu i ck , et. al, 2010]. Dieser Erkundungsstollen befindet sich zur Gänze im Brixner Granit. Die geologische Prognose sah 18 Störungen vor; davon wurden 8 Störungen angetroffen (Abb. 4). Bei Tunnelmeter 2560 wurde eine nicht prognostizierte Störung angetroffen, welche geringe Defor mationen und Rissbildungen in den Tübbingen verursachte. Die mächtigste Störung ist die Weissenbachstörung, welche bei Tunnelmeter 5830 mit einer Mächtigkeit von 50m prog nostiziert war. Diese Störung trat früher, also bereits bei Tunnel meter 5760 bis 5864, begleitet mit zahlreichen Wasserzutritten auf. Bei Tunnelmeter 6151 wurde eine ca. 5m mächtige, zum Tunnel parallel verlaufende, nicht prognostizierte Störung an getroffen. Diese geologische eher unbedeutende Störung ver ursachte jedoch durch ihre parallele Orientierung zur Tunnel achse starke Deformationen von bis zu 60 cm der Tübbinge. Es kam zu einem knapp 4-monatigen Stillstand der Tunnelbohr- maschine. Im Bereich der „damage zone“ von Störungen kam es zu insta bilen Ortsbrüsten. Diese wurden durch zusätzliche ungünstige Kluftsysteme hervorgerufen. Im Bereich der „core zone“ der Störungen kam es vereinzelt zu tiefgreifenden Überbean spruchungen des Gebirges [Gaspa r i , Be rgme i s t e r, 2019]. Für den Erkundungsstollen Aicha – Mauls gab die hydrologische Prognose 150 l/s (stabilisiert) und 290 l/s (maximal) an. Tatsäch lich zeigt der Trend eine stabilisierte Schüttung von 70 l/s. Die maximalen Schüttungen lagen bei ca. 200 l/s. Der 2 km lange Abschnitt durch die periadriatische Störungs zone wurde mittels Sprengvortrieb und steifem Ausbau herge stellt (Baulos Erkundungsstollen periadriaische Störungszone). Beim Vortrieb traten größere Änderungen in den Abmessungen der Störungszone mit einer höheren Gesamtmächtigkeit auf, als prognostiziert war. Der Bergwasseranfall war deutlich geringer als prognostiziert. Weiter nördlich wird derzeit der insgesamt 14,5 km lange Er kundungsstollen (ca. 4 km bereits aufgefahren) mit einer Doppelschild-TBM bis zum Brenner aufgefahren. Aufgrund der geschlossenen Maschine können deutlich weniger Erkundungs ergebnisse gewonnen werden. 3. Bemessung und Konstruktion 3 . 1 . Bemessung f ü r e i ne Nu t zungsdaue r von 200 Jah ren Beim Brenner Basistunnel wurde weltweit erstmalig eine durch gängige Planung mit Festlegung von Nutzungsdauern und eines Life-Cycle-Managements durchgeführt. Die Bemessung und konstruktive Durchbildung der Tunnelstruktur erfolgt für eine Nutzungsdauer von 200 Jahren (Be rgme i s t e r, 2012). Maßgebend für eine lange technische Lebensdauer sind die gute Qualität der Baustoffe, eine ausgezeichnete Bauaus führung und eine regelmäßige Bauüberwachung. Entscheidend für den Beton ist die Qualität der Ausgangsstoffe und die gute Verarbeitung. Die Bewertung der Lebensdauer von Tunneln wird entscheidend von der Lebensdauer des Betons geprägt. Auf der Grundlage der Alterungsmodellierung und der Modellierung der Dauerhaftigkeit wurden für eine technische Lebensdauer von 200 Jahren folgende konstruktive Kenndaten und Teilsicher heitsfaktoren für die Bemessung festgelegt: Betondeckung c nom = 50 mm Teilsicherheitsfaktor Betonfestigkeit: g c = 1,6 Teilsicherheitsfaktor Betonstahl: g s = 1,2 Für die Sicherstellung der technischen Lebensdauer ist eine umfassende Qualitätssicherung unabdingbar, die nicht nur auf die Bemessung, die Konstruktion und die Realisierung auf der Baustelle ausgerichtet sein darf, sondern die auch spätere Kon trollen und Instandhaltungen einbezieht. Aus diesem Grunde sollen die Verformungsmessungen im Erkundungsstollen weiter geführt und in einem 10-Jahres Zyklus eine detaillierte Inspek tion der Haupttunnel durchgeführt werden. 3 . 2 . Mode l l i e r ung de r E i nwi r kungen Die Ermittlung der Gebirgsbeanspruchungen und Gebirgslasten erfolgt im Tunnelbau in der Regel an Hand von zwei- oder drei dimensionalen FEM-/FDM-Berechnungsmodellen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Berücksichtigung einer realitätsnahen Modellierung der Lastgeschichte sowie einer zeitabhängigen Modellierung der Festigkeits- und Steifigkeitseigenschaften der Ausbausysteme beim Vortrieb. Daher müssen bei der Modellie rung auch der Bauablauf und die Bauzeiten mit prognostizier ten Vortriebsunterbrechungen berücksichtigt werden. Zur Mo dellierung hoher Überlagerungsspannungen kann die gesamte Überlagerung durch die Modellierung eines Netzausschnitts mit begrenzter Überlagerung und einer darüber liegenden Schicht mit entsprechender Wichte abgebildet werden. Auch kann ein Primärspannungszustand dem Modell durch numerische Ein gabe eingeprägt werden. Die Netzgüte für die Modellierung mittels FEM und FDM sollten folgende Grundregeln berücksichtigen: 1. Strukturelemente (Stab- oder Schalenelemente) oder Kon tinuumselemente sollen je nach Anforderungen verwendet werden. 2. Eine soweit möglich genaue geometrische Abbildung vom Gebirge und vom Bauwerk sowie von deren Interaktion. 3. Eine realistische Darstellung der Spannungs- und Defor mationszustände soll in jedem Bauzustand modelliert wer den. 4. Zur Überprüfung der Genauigkeit der numerischen Berech nung sollen Sensitivitätsuntersuchungen der Netzgrößen abhängigkeit durchgeführt werden. 5. Bereiche mit Einzellasten müssen mit verfeinerten Netzen modelliert werden. 6. Die Ergebnisse sollten durch die Modellgröße und den Randabstand nicht beeinflusst werden. 7. Die Seitenverhältnisse der einzelnen Elemente sind in nerhalb der zulässigen Bereiche, welche vom Programm hersteller empfohlen werden, zu verwenden. 8. Für die Modellierung von Bauwerksteilen (Spritzbeton, Anker, Stauchelemente, Tübbingringe etc.) sollen Elemen te verwendet werden, welche das Materialverhalten und die Interaktion mit dem Gebirge realistisch abbilden und welche die Möglichkeit bieten, die erforderlichen Ergeb nisse (Schnittgrößen und Spannungen) mit der ausreichen den Genauigkeit auszugeben. 9. Es sollen konstitutive Modelle, welche eine Adaptierung von in-situ gewonnenen geotechnischen Parametern er lauben, verwendet werden. 10. Für den Baugrund bzw. Felsen sollen spezifische Stoff gesetze verwendet werden. Für den Ausbau müssen die Steifigkeits- und Festigkeitseigenschaften den einzel nen Bauzuständen und Bauphasen angepasst und ent sprechend differenziert modelliert werden.
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